Katrin Berglauf - 1.,2.,3. …4. Platz
Und wieder einmal bewahrheitet sich das Thema meiner Diplomarbeit „1.,2.,3. …4. Platz - Kenianische LangstreckenläuferInnen - Laufen als Job? Die Bedeutung des Langstreckenlaufes in Kenia unter Beachtung sozio- ökonomischer und sozio- kultureller Faktoren„ damals im Studium Soziologie.
Oftmals bedeutet der 4. Platz nämlich leider genau einen zu langsam gewesen zu sein, um noch etwas Preisgeld zu erhalten. Das ist jetzt für Kosgei und mich traurig, für uns wird sich die Welt jedoch trotzdem weiterdrehen. Wir hatten dennoch einen wunderschönen Tag auf der Katrin in Bad Ischl mit unserem Freund Martin bei herrlichem Bergwetter, Blick auf die Seen des Salzkammerguts und einen herrlichen Grillschopf als Stärkung nach dem Wettkampf. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an den Veranstalter Siegfried Lemmerer für die liebe Einladung und die tolle Veralstaltung.
Für alle jene AfrikanerInnen, die extra aus Kenia oder dergleichen anreisen bedeutet das aber gleichzeitig auch, ohne die so hart ersehnten paar Euro vom Wettkampf heimfahren zu müssen, die/den ManagerIn enttäuscht oder im schlimmsten Fall verärgert zu haben und vor allem zu wissen, dass es wird besser laufen müssen, denn ohne Siege und die damit verbundenen Prämien sind zu Hause die hoffnungsvoll wartenden Familienmitglieder nicht zu ernähren.
aus: Ecker, Claudia: Habari Yako, Geschichten aus Kenia, 2015, ISBN 978-3-7375-3178-8
1.,2.,3. …4. Platz - Kenianische Langstreckenläufer/innen - Laufen als Job?
Aus meiner Liebe zum Laufsport und meinem Interesse an entwicklungspolitischen, globalen Themen, wurde die Idee meiner Diplomarbeit über die Bedeutung des Langstreckenlaufes in Kenia unter Beachtung sozio- ökonomischer und sozio- kultureller Faktoren geboren, die beides miteinander verbinden sollte. Meine Liebe zum Sport samt Wahnsinn des Langstreckenlaufes und mein Interesse an entwicklungspolitischen, globalen Themen.
Ziel meiner Studie war die Untersuchung und Analyse der Situation von KenianerInnen, die scheinbar im Fernsehen so leichtfüßig im Marathonlauf siegen, über deren Leben aber, und über deren Hintergrund und Lebensweisen, wir hier in Europa nur wenige Vorstellungen haben.
So begann ich 2011 meine Forschung in Österreich, flog aber, um bessere Einblicke in die Laufszene zu bekommen, zur Feldforschung in ein Laufcamp in der Nähe von Nairobi und versuchte Antworten zu finden auf meine Fragen nach den Beweggründen für den Langstreckenlauf bzw. dessen Stellung und Wert innerhalb der kenianischen Gesellschaft, dessen soziale und finanzielle Auswirkungen auf die kenianischen AthletInnen und deren Familien, die unterschiedlichen Zugangsbedingungen der Angehörigen der verschiedenen „tribes“, sowie einer eventuellen Chance für die Frauen auf ein eigenständiges und emanzipiertes Leben.
Gründe warum gerade AfrikanerInnen ein dermaßen herausragendes Leistungspotential besitzen gibt es einige. Fest steht auf jeden Fall, dass die AtlethInnen eine enorme Härte im Training besitzen und ihr ganzes Leben danach ausrichten. Die Konkurrenz wird immer stärker, der Leistungsdruck seitens der Manager wächst von Jahr zu Jahr. Tanser schreibt: „Kenyans are not sent to international competition merely to compete; they are sent to win“ (Tanser 2008: 13).
Es gibt mehrere Gründe für die Leistungsfähigkeit der AfrikanerInnen. So stammen sie meist aus Regionen, die auf etwa 2400 Höhenmeter liegen, und gehören den „tribes“ der „Gikuju“ oder den „Kalenjin“ an. Bei den uns am besten bekannten „Massai“ hat der Laufsport wenig Tradition. Weiteres ist ihre Muskelfaserzusammensetzung eine andere, sowie auch die Beinlängen zum Oberkörper, bzw. der Wadenlängen zum Rest des Körpers andere Proportionen haben.
Auch die Tatsache, dass bereits Kinder oft schon zehn und mehr Kilometer täglich zur Schule laufen, denn ein Zuspätkommen wird hart bestraft, spielt sicherlich eine Rolle für Dichte an TopläufernInnen. Nicht selten kommt es vor, dass eine Schar voller neugieriger, stets fröhlicher Kinder, barfuß, in Gummistiefeln oder löchrigen Schuhen, europäische „Lauftouristen“ auf ihrem nachmittäglichen Lauftraining begleiten.
Aber auch ihre Ernährung wird gerne als Begründung herangezogen. So besteht die Mahlzeit vorwiegend aus einer brotähnlichen Speise aus Maismehl, „Ugali“ genannt, welches sie zusammen mit verschieden gekochten Gemüsesorten, selten auch Fleisch, verzerren und die so gut wie jeden Abend spät auf dem Tisch steht, um Kraft für den kommenden „morning run“ zu bekommen, den die AthletInnen früh um sechs Uhr, stets ohne Frühstück absolvieren.
Auf Grund der hohen Arbeitslosenraten und der daraus resultierenden Armut, ist das Laufen eine Chance für talentierte KenianerInnen, ihren prekären Lebensverhältnissen zu entkommen. Für den Erfolg, der mit finanziellem Gewinn und sozialem Prestige verbunden ist, sind sie bereit, alles zu geben. So leben sie fast ausschließlich in Trainingscamps, fernab ihrer Familien.
Vermehrt trainieren auch Frauen für Wettkämpfe, mit Erlaubnis aber auch Unterstützung ihrer Ehemänner, da diese sehen, dass mit Talent und hartem Training gutes Geld verdient werden kann. So ist der Laufsport ihre Chance auf ein relativ selbstbestimmtes Leben, und trotzdem, hier von Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu sprechen, wäre eine Illusion.
Im Herzen Soziologin, begeistert und fasziniert von Menschen, ihren Rollen und sozialem Verhalten beobachte, empfinde und reflektiere ich ständig. Bei meinen qualitativen Interviews mit den LäuferInnen stellte ich jedem/r die Frage nach der Gleichberechtigung. Männer sagten mir, natürlich ihren Frauen zu helfen, oder sicherlich auch zu kochen. Frauen schilderten mir ihre Unabhängigkeit. Die Realität ist leider eine völlig andere. Ich habe keinen einzigen Mann jemals kochen gesehen, war denn eine Frau im Haus. Sowie ich auch erlebte, dass Frauen in Kenia nicht wirklich Rechte haben. Ich bin fernab dies zu verurteilen. Kulturen sind verschieden und gerade dadurch so faszinierend.
Der Druck auf die LäuferInnen ist enorm. Bereits ein vierter Platz bedeutet oftmals, keine Prämie ausbezahlt zu bekommen und somit kein Geld für sich und Ihre Familie zum Leben zu haben, denn von den Preisgeldern, die die Athletinnen vorwiegend in Europa und Amerika erhalten, leben deren ganze Familien, oftmals mehr als 20 Personen, ein ganzes Jahr lang, bis zur nächsten Saison, auf die sie alle hoffen. VerliererInnen verschwinden in der Masse an TopläuferInnen meist auf immer und ewig. „For every Kenyan runner who succeeds, there are dozens who fail, as is true everywhere“ (Tanser 2008: 8).
Die soziale Stellung der LäuferInnen in Kenia ist ein hohe, zumindest von denen, die in Europa waren. So kursiert die Vorstellung, wer nach Übersee fliegt, kehrt automatisch mit viel Geld zurück. Dass das Siegen bei zunehmender Konkurrenz nicht immer gelingt, ist verständlich. Aber selbst wenn die AthletInnen mit Siegerprämien zurückkehren, dann warten ihre Angehörigen, und nicht selten ist das gewonnene Geld sehr bald verbraucht. Da die KenianerInnen mit einem Touristenvisum, gültig für drei Monate, nach Europa kommen, müssen sie dann wieder ein halbes Jahr warten, um zurückkehren und erneut starten zu können. Marathonläufe im eigenen Land, wie etwa in Nairobi sind wenig lukrativ.
Der Staat in Kenia unterstützt seine Läufer nur dann, wenn sie im Leichtathletikverband sind und dafür bedarf es herausragender Leistungen. Alle anderen hoffen bei einem der unzähligen „trials“ einen guten Tag zu haben und von einem ausländischen Manager entdeckt und unter Vertrag genommen zu werden. So richten die AthletInnen ihr ganzes Leben danach aus. Frühmorgens beginnt ihr Tag mit dem von ihrem Coach vorgegebenen Trainingspensum, danach wird Chai getrunken und gefrühstückt, und sie rasten für den zweiten Trainingslauf am Nachmittag. Im Grunde besteht ihr Leben aus Laufen, Schlafen und Essen. Das ist der Alltag der LäuferInnen, in dem Hektik und Stress, den wir in der westlichen Welt immer zu haben scheinen, keinen Einzug findet. „Time is money“. Diesen Satz höre ich ständig aus kenianischen Mündern. Dass dies in Europa so sei, wäre ihnen bekannt. Und dann lachen sie, denn in Afrika ticken die Uhren anders.
Eine Arbeit neben dem Laufen führen die LäuferInnen aus Zeitgründen nicht aus. Die meisten Frauen haben zwar Kinder, auf diese passen jedoch Eltern oder Geschwister auf. Da das Leben eines/ einer SpitzenklasseläuferIn äußerst anstrengend ist, brauchen die AthletInnen genügend Erholung und Regeneration. Viele haben aber einen fertigen Schulabschluss, ganz selten auch ein abgeschlossenes Studium, denn den Job, den sie haben, können sie nicht unbegrenzt ausüben. Und so ist den meisten schon bewusst, sich ein zweites Standbein für die Zeit danach schaffen zu müssen, denn staatliche finanzielle Unterstützung, sowie eine gesetzliche Altersversorge gibt es nicht. Dies ist auch mit der Grund, weshalb die Geburtenrate in Afrika eine hohe ist, denn abgesehen davon, dass Kinder in der kenianischen Gesellschaft, vor allem der Ehe einen großen Stellenwert haben, dienen sie auch als Absicherung im Alter.
Im Wesentlichen resultierten aus meinen qualitativen Interviews und meiner teilnehmenden Beobachtung drei Gründe für den Langstreckenlauf der KenianerInnen. Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass natürlich der finanzielle Gewinn die Hauptmotivation darstellt. Weiters ist jedoch die körperliche und psychische Gesundheit in jedem meiner Interviews genannt worden. In einem Land mit einer HIV Rate um sechs Prozent und der großen Gefahr, aus Aussichtslosigkeit heraus in diverse Abhängigkeiten wie Alkohol und Drogen zu verfallen, hat jede/r InterviewpartnerIn erwähnt, dass das Laufen zu einem gesunden Lebenswandel führt.
Schließlich und endlich kam der Nationalstolz der AfrikanerInnen als drittes Motiv deutlich zum Vorschein, denn sie sind stolz darauf Kenia in Übersee zu repräsentieren, und eine Weltmeisterschaft oder einen Marathon zusammen mit KenianerInnen im Fernsehen anzuschauen, bedeutet Emotionen pur.
Die Zukunft wird es zeigen, ob sich die afrikanischen LäuferInnen an der Weltspitze halten können, denn vermehrt beginnen auch EuopäerInnen und AmerikanerInnen das Klima und die Höhenlage Kenias für ihr Lauftraining zu nutzen. Weiters kann beobachtet werden, dass die Zahl der AthletInnen von Jahr zu Jahr steigt, wie auch die Dichte der Manager, denen es vorrangig um ihren eigenen finanziellen Gewinn geht. Es kümmert sie oftmals wenig, den benachteiligten Bewohnern des afrikanischen Kontinents eine faire Chance zu geben. Die Globalisierung macht es einerseits möglich, dass diese auf der Suche nach neuen Talenten auch in entlegenste Dörfer kommen, auf der anderen Seite können afrikanische LäuferInnen etwa für einen großen Stadtmarathon problemlos mit Touristenvisum eingeflogen werden.
In Zeiten, in denen die Marathonbestzeit bei den Herren bereits unter der 2h 3min (seit 2017 2h 1min) Marke liegt, in denen die AfrikanerInnen nicht nur im Straßenlauf, sondern auch im Berglauf dominieren. Wo so viel Geld seitens der Manager und Sponsoren im Spiel ist und wo EuopäerInnen in Afrika investieren, um den LäuferInnen optimale Trainingsmöglichkeiten zu bieten.
In diesen Zeiten, in denen der Laufsport zum riesen Business geworden ist, bleiben für mich persönlich nicht die Spitzenzeiten der LäuferInnen oder ihre Erfolge im Kopf. Vielmehr bin ich fasziniert von ihrer bescheidenen Art, denn egal wie berühmt sie auch sein mögen, KenianerInnen bleiben immer sie selbst. Tanser schreibt in seinem Buch, dass ein/e KenianerIn niemals vergisst, wo er oder sie herkommt. Genau das habe ich auch beobachtet, und genau das macht die LäuferInnen auch zu faszinierende, menschlich und greifbar.
Jedem und jeder EuropäerIn das Gefühl zu geben, „best friends“ zu sein, ja das können sie perfekt. Zum Glück, denn scheinbar ist genau das in unserer westlichen Welt etwas, was viele zu vermissen scheinen. Freunde zu haben, Zeit zu haben, Spaß zu haben in unserer hektischen Zeit. Der oder die afrikanischen LäuferInnen sind ein Produkt, werden vermarktet und halten sich geduldig an die Regeln, die Europa oder Amerika ihnen aufstellt. Tue das was man dir sagt, unterhalte die zahlenden Gäste, sag nie was du denkst und sei fröhlich.
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